Dieser Text basiert auf den Überlegungen, die Stanislaw Lem 1976 in seinem Buch Summa Technologiae angestellt hat. Stanislaw Lem wurde 12.9.1921 in Lwow geboren, lebt heute allerdings in Krakow. Bis zum Ende des zweiten Weltkriegs arbeitete er als Autoschlosser und war Mitglied der Widerstandsbewegung. Nach dem Krieg studierte er Medizin und war nach seinem Abschluß als Assistent für Probleme der angewandten Psychologie tätig. Privat beschäftigte er sich mit Problemen der Kybernetik, der Mathematik und übersetzte wissenschaftliche Publikationen. Seit 1973 liest Lem als Dozent am Lehrstuhl für polnische Literatur an der Universität Krakow. Bekannt wurde er vor allem durch seine Science Fiction-Romane, wie z.B. Robotermärchen, die Sterntagebücher und der futurologische Kongreß. Er hat allerdings auch populärwissenschaftliche Bücher veröffentlicht, wie Summa Technologiae. In diesem Werk beschäftigt er sich zum einen mit Problemen der Kosmologie und der Evolution, vor allem aber mit einer Vision der menschlichen Gesellschaft der Zukunft. Jedoch ist auch Lem klar, das solche futurologische Ausblicke nur sehr schwer bis unmöglich sind, wenn man die aktuellen Veränderungen in die Zukunft fortschreibt. Deshalb versucht er eine Grenze zwischen möglichen und unmöglichen abzustecken, basierend auf den Naturgesetzen und generelle Tendenzen der menschlichen Entwicklung zu finden und diese in die Zukunft zu projizieren. Dennoch sagt Lem: in der Futurologie wird Wissen vorgetäuscht, wo früher über die pure Unwissenheit kein Zweifel bestand.
Phantomatik ist ein Begriff der 1976 von Stanislaw Lem in seinem
Buch Summa Technologiae geprägt wurde. Kurz gesagt handelt
es sich dabei um eine sehr weit fortgeschrittene Version unserer
heutigen virtuellen Realität, wobei sich unsere heutigen Möglichkeiten
ausnehmen, wie die einer Laterna Magica im Vergleich zu einem I-Max
Kino. Ich habe diesen relativ alten Text den aktuellen vorgezogen, da
die heutigen Autoren viel zu stark von den jetzigen technischen Möglichkeiten
geprägt sind, um einen Ausblick in eine weit entfernte Zukunft zu
wagen.
Um die Möglichkeiten und die technische Realisierbarkeit
der Phantomatik zu beleuchten, beginnen wir mit einem
Gedankenexperiment. Stellen Sie sich folgende Situation vor: Ein Mensch
sitzt auf der Veranda seines Hauses, blickt hinaus in den Garten, hört
die Vögel zwitschern und von irgendwo her Kindergeschrei. Ein
leichter Rosenduft wird von der warmen Brise herangeweht. All diese
Informationen werden von den Sinnesorganen aufgenommen und gelangen
über die afferten oder sensorische Nervenbahnen zum Gehirn. Da
Nervenimpulse grundsätzlich nichts anderes sind als schwache
elektrische Ströme, kann man sie messen und aufzeichnen. Dies wird
schon heute zum Beispiel bei Gehirnstrommessungen schon gemacht. Wir
verwenden nun ein ähnliches Verfahren, um die Ströme in den
einzelnen Nervenbahnen zu messen. Dazu ist natürlich eine
wesentlich höhere Trennschärfe als bei heutigen Verfahren
notwendig, da diese nur die Ströme in ganzen Gehirnbereichen messen
können. Auch muß unser Verfahren in der Lage sein, auch Ströme
in wesentlich tieferen Regionen des Körpers zu messen, als dies
heute möglich ist, denn wir wollen schließlich auch Daten vom
Sehnerv erhalten, der von dicken Knochen- und Gewebsschichten umgeben
ist. Wie diese Technologie auch immer aussieht, die gewonnenen Daten
werden verstärkt und dann gespeichert. Jetzt können wird
endlich zum zweitem, interessanteren Teil des Experiments
übergehen. Wir bringen unsere Person in eine neutrale Umgebung, wo
er möglichst wenigen, störenden Sinnesreizen ausgesetzt ist,
z.B. in einen abgedunkelten Tank mit lauwarmen Wasser. Nun verwenden wir
ein zweites technisches Verfahren, um ihm die vorher gewonnenen Daten
wieder in seine Nerven zu induzieren. Und dieser Mensch hat nun plötzlich
nicht mehr das Gefühl, sich in einem Wassertank zu befinden, er wähnt
sich auf der Veranda seines Hauses, hört die Vögel und riecht
die Rosen. Wir haben also eine hundertprozentige Illusion geschaffen,
die allerdings einen krassen Fehler hat: sie ist nicht interaktiv.
Unsere Illusion bleibt also nur so lange bestehen, solange unsere
Versuchsperson nicht vorhat, von ihrem Stuhl aufzustehen, oder sich an
der Nase zu kratzen. Dann wird zwar der physikalische Körper im
Wassertank seinen Arm zur Nase bewegen, aber unsere Versuchsperson spürt
nichts davon, denn alle ihre Empfindungen stammen ja schließlich
aus der Aufzeichnung. Es entsteht eine seltsame Divergenz zwischen
Willen und Handel. Auch wenn er sich noch so anstrengt, er wird sich
nicht aus dem Sessel erheben können. Insgesamt eine nicht sehr
angenehme Situation.
Dieses Manko wird durch die sogenannte
"periphere Phantomatik" behoben. Bei ihr werden auch die Daten der
efferten oder motorischen Nerven berücksichtigt. Wenn wir beim
vorherigen Beispiel bleiben, bedeutet das, daß die Daten, die das
Gehirn an die Armmuskulatur sendet, damit man sich an der Nase kratzen
kann, von einem geeigneten Gerät aufgenommen und an einen Automaten
weitergeleitet werden. Dabei sollten auch noch die Verbindungen zwischen
den Nerven und den ausführenden Organen (hier den Gliedmasen)
unterbrochen werden, sonst führt schließlich der Körper
im Wassertank die selben Bewegungen aus, wie der Mnesch in er virtuellen
Realtät, was auch zu Verletzungen führen kann. Dieser
berechnet nun aus diesen Informationen, Wissen um eine einprogrammierte
Umwelt und einigen "physikalischen" Gesetzten die der Aktion
entsprechende Reaktion. Einfacher gesagt: Wenn man den Arm bewegt, spürt
man nun auch die Luftreibung, der Arm taucht im Sichtfeld auf, berührt
die Nase und die Hautrezeptoren an dieser Stelle melden die Berührung.
An diesem einfachen Ablauf sieht man schon die gigantischen technischen
Probleme, die vor der Herstellung eines solchen Geräts zu lösen
sind. Wenn wir unsere Welt mehr oder weniger vollständig simulieren
wollen, müssen dem Automaten fast alle Naturgesetze bekannt sein.
Er muß z.B. wissen, das die Hand nicht einfach im Kopf
verschwinden darf, wenn wir unseren Finger auf die Nase drücken.
Oder, daß es auf unserem Planten Schwerkraft gibt, die der
Bewegung des Arms einen gewissen Widerstand entgegenstellt usw. Auch
wird schnell klar, welche Verarbeitungsgeschwindigkeit dieser
"weltenerzeugende Automat" haben muß, denn die menschlichen Sinne
nehmen etwa 10 hoch 10 Bits pro Sekunde auf. Dazu kommt noch die
Verarbeitung der efferten Nervenimpulse und die Simulation einer vollständigen,
veränderlichen Umwelt hinzu. Eine solch gigantische Rechenleistung
wird keiner der Computer, so wie wir sie heute kennen, je erreichen können.
(Ich weiß, wie oft so etwas von einer unerreichbaren
Rechenleistung in der Geschichte des Computer schon gesagt wurde, während
heute jeder Taschenrechner schneller ist, als diese "physikalische
Grenze", aber in diesem Fall, glaube ich, müssen wir auf so
futuristische Ideen wie den Quantencomputer oder biologische Computer
zurückgreifen.) Wenn allerdings ein so einfacher Vorgang schon so
schwer zu simulieren ist, um wie viel schwerer ist dann eine Simulation
von Menschen. Selbst ein einfaches Gespräch könnte den
Rechenaufwand noch einmal um ein vielfaches steigen lassen, da die
Maschine dann intelligent reagieren muß. Dabei ist natürlich
klar, das es hier viele Abstufungen geben kann. Ein Gespräch mit
Claudia Schiffer ist einfacher zu simulieren, als eins mit Albert
Einstein. Je intelligenter und schneller der Phantomat ist, und je
besser die physikalischen Gesetzte darauf abgebildet wurden, um so
perfekter ist die Illusion.
Grundsätzlich ist der Nutzen eines solchen Geräts klar: sie stellt ein perfektes Trainingsfeld für jede beliebige Tätigkeit dar. Ähnlich eines Flugsimulators wird es einen "Patientensimulator" für Chirurgen geben, eine Simulation des Mars für den Astronauten (sogar mit verringerter Schwerkraft) usw. Wenn diese Geräte allerdings einigermaßen erschwinglich sind, werden sie wahrscheinlich vor allem zu Unterhaltung genutzt, denn man kann all das Erleben, wovon man schon immer geträumt hat: man kann ein Ritter in den Schlachten des Mittelalters sein, ein Held in griechischen Göttersagen oder gar ein Hai in den Tiefen des Ozeans; die einzige Beschränkung ist die menschliche Phantasie. Mit zunehmender Realitätsnähe dieser Illusionen stellt sich allerdings die Frage nach der Unterscheidbarkeit von Realität und Phantomatik.
Grundsätzlich ist der Person, die sich phantomatiseren läßt,
natürlich bekannt, daß sie sich in diesem Zustand befindet,
denn zum Erreichen dieses Zustandes sind bestimmte Vorbereitungen nötig
z.B. muß man Elektroden aufsetzen oder ähnliches. An diese
Vorbereitungen erinnert man sich natürlich auch noch, wenn man sich
in diesem Zustand befindet und ist sich klar darüber, das man
phantomisiert wurde. Es stellt sich also nicht die Frage, ob eine
Illusion Realität ist, sondern ob die Realität eine Illusion
sein könnte. Dies möchte ich an einem kleinen Beispiel
belegen: Ein Mann begibt sich in ein phantomatisches Kino. Er wählt
aus einer Vielzahl von Filmen einen Flug durch den Grand Canyon aus und
löst eine Eintrittskarte. Er geht in den ihm zugeteilten Raum,
bekommt von einer freundlichen Angestellten die Elektroden angelegt und
befindet sich plötzlich im Grand Canyon. Schließlich ist die
Vorstellung zu Ende, er nimmt die Elektroden ab und tritt hinaus auf die
Straße. Plötzlich zerfallen die Häuser auf beiden Seiten
der Straße zu Staub und sacken in sich zusammen, ein schreckliches
Summen ertönt und ein UFO senkt sich vom Himmel und landet direkt
vor ihm. Plötzlich befindet er sich wieder in dem kleinen,
abgedunkelten Raum im Kino, mit den Elektroden auf dem Kopf. Die
freundliche Angestellte erklärt ihm, das sein Erlebnis mit dem UFO
eine Zugabe war; eine spektakuläre Vorschau auf ihren nächsten
Film.
Durch dieses simulierte Aufwachen kann man also den tatsächlichen
Zustand der Person verschleiern. Sogar mehrere, verschachtelte Ebenen wären
möglich. Die freundliche Angestellte nach dem zweiten Aufwachen könnte
schließlich auch nur eine Simulation sein...
Damit stellt sich
natürlich die Frage, wie Realität und Illusion unterschieden
werden können. Wie schon bemerkt, stellt es ein großes
Problem dar, eine wirklich perfekte Illusion zu schaffen. Zum Beispiel können
die Programmierer auf eine Simulation bestimmter körperlicher Vorgänge
verzichten, um Rechenzeit zu sparen. Wenn man also noch so viel essen
kann, ohne das der Hunger je gestillt wird, kann man sich fast sicher
sein, das man sich in einer virtuellen Realität befindet. Das
Essen, das man dort zu sich nimmt, ist schließlich auch nur
virtuell. Allerdings wird das Gefühl der Sättigung, wie alle
anderen Informationen auch, durch Nerven weitergeleitet und wenn man
schon die anderen Nervensignale manipuliert, warum nicht auch diese? Während
der physikalische Körper intravenös ernährt wird "ißt"
man in der virtuellen Realität Hummer und Kaviar und spürt nie
ein Hungergefühl. Dieses relativ einfache Unterscheidungsmerkmal fällt
also mit der Entwicklung der Phantomaten in Richtung technische
Perfektion weg.
Ebenso verhält es sich mit einem anderen
Unterscheidungsmerkmal, der mangelnden Intelligenz der Automaten. Auch
ein schneller Rechner kann nur einen virtuellen Gesprächspartner,
vielleicht auch zwei, simulieren. Bei mehreren muß er seine auf
sie Intelligenz verteilen, um dem Gespräch richtig folgen zu können.
Das hat zur Folge, daß die Gesprächspartner relativ dumm
wirken und nur stereotype Antworten geben können, eventuell auch
sehr lange Nachdenken müssen, um eine Antwort zu geben. Wie will
man allerdings hier zu einem einigermaßen sicheren Ergebnis
kommen? Es kann schließlich sein, daß man an einem Tag nur
Idioten trifft, dies ist allerdings noch kein Beweis für eine
Phantomatisierung. Außerdem sind die meisten alltäglichen
Gespräche kaum geeignet, um auch nur einen halbwegs intelligenten
Computer in die Enge zu treiben, denn wer spricht schon jeden Tag mit
seinen Freunden über die Relativitätstheorie. Viel eher kann
man einen Computer über die Darstellung der Umgebung entlarven. So
ist es ein enormer Rechenaufwand, fraktale Gebilde wie Wolken oder die
Bewegungen der einzelnen Halme in einem Weizenfeld zu berechnen. Auch
der Tanz von trockenen Blättern im Wind oder ähnliches stellt
den Computer vor enorme Aufgaben, denn überall hier muß die
Bewegung kleinster Partikel möglichst wirklichkeitsnah berechnet
werden. Ebenso aufwendig ist die Darstellung eines Blicks über eine
weite Ebene oder das Meer. In diesem Fall kann nämlich die
Berechungstiefe nicht begrenzt werden. Um ein geschlossenes Zimmer an
einer Straße zu simulieren, muß man nicht den Fahrzeug- und
Personenstrom der ganzen Stadt berechnen, nur damit die Autos an eben
diesem Haus vorbeifahren können. Es reicht völlig aus, in
einer möglichst zufälligen Reihenfolge verschiedene Autos in
einem zufälligen Abstand vorbeifahren zu lassen. Eine solche
Vereinfachung ist natürlich bei einem Blick über die Ebene
nicht möglich. Ein rotes Auto, das hier hinter einem Haus
verschwindet, darf nicht aufhöhren zu existieren oder gar als grünes
wieder zu Vorschein kommen. Natürlich können auch hier gewisse
Vereinfachungen vorgenommen werden; man muß natürlich nicht
jede Tannennadel darstellen, um einen Wald zu erhalten. Allerdings wird
der große Rechenaufwand allein für die Darstellung diese
Umgebung, zusammen mit einem Gespräch
über fortgeschrittene Automaten- und Informationstheorie, den
Computer vor ziemliche Probleme stellen. Es könnte in diesem Fall
sein, daß die Darstellung kurzzeitig ganz zum Stillstand kommt
(ruckelige Darstellung) oder das einfach die Detailschärfe
reduziert wird. Allerdings wird mit zunehmender Rechenleistung, oder
auch neuen Berechnungs- und Verallgemeinerungsverfahren, die
Wahrscheinlichkeit eine solchen Entarnung abnehmen.
Eine weitere Möglichkeit
der Unterscheidung sind die kleinen Geheimnisse, die wir alle in uns
tragen. Wenn man also z.B. ein paar Bilder in seinem Safe eingesperrt
hat und niemand von ihnen weiß, kann auch der Programmierer einer
virtuellen Realität sie nicht in seine Version der Realität
mit einbeziehen. Also wird der Safe leer bleiben. Will man also den
Unterschied zwischen Realität und Illusion verschleiern, muß
man den Menschen entweder in eine völlig unbekannte Umgebung
versetzten oder ihm alle Vergleichsmöglichkeiten entziehen.
Ersteres kann man leicht dadurch erreichen, daß man wartet, bis
sich die Person in einer ihm völlig unbekannten Umgebung befindet
und in dort phantomatisieren. Die zweite Möglichkeit läßt
sich nur mit einem gewissen "Aufsehen" verwirklichen. So kann unser
alter Bekannter, der eben erfahren hat, das das UFO nur eine weitere
Illusion war, das Kino verlassen, nach Hause fahren und dort vor den Trümmern
seines Hauses stehen. Auf seine Nachfrage bei seinen Nachbarn oder der
Polizei wird er erfahren, das bei Straßenbauarbeiten vor seinem
Haus eine alte Fliegerbombe ausgegraben wurde und dann explodierte.
Dabei wurde sein Haus in Schutt und Asche gelegt. Unser Bekannter hat
jetzt keine Möglichkeit mehr, sich sicher zu sein, ob er sich in
einer Illusion befindet oder in der Wirklichkeit, denn sein ganzes Hab
und Gut ist schließlich mit seinem Haus in Rauch aufgegangen. Wenn
unser armer, geplagter Freund vielleicht auch noch Familie hat, kann man
es so arrangieren, daß sich alle Familienmitglieder zum Zeitpunkt
der Explosion im Haus befanden. Damit kann man sich auch die aufwendige
und fehlerträchtige Simulation der Personen, die ihm am nächsten
stehen, sparen. Allerdings ist es nicht möglich, alle Freunde und
Bekannten der Person zu "beseitigen", ohne den Verdacht des Opfers zu
erwecken. Ebenso ist es unmöglich für den Erschaffer der
virtuellen Welt alle Personen mit denen unser Opfer je zu tun hatte,
wirklichkeitsgetreu abzubilden. Der Aufwand an Recherche und
Programmierung wäre viel zu groß. Ebenso besteht bei der
peripheren Phantomatik kein Zugriff auf die Gehirnfunktionen und damit
den Gedächtnisinhalt, um sich so die Informationen quasi "Online"
zu besorgen. (Daher auch der Name "periphere Phantomatik", da sich der
Zugriff auf das Gehirn auf die Nervenbahnen von und zum Gehirn beschränkt.)
Daher kann es zu "Gedächtnislücken" und fehlendem
Erinnerungsvermögen bei den dem Opfer nahestehenden Personen
kommen. Aber wo soll man auch hier den Maßstab anlegen? Großer
Veränderungen im Leben einer Person oder die oben genannten Gedächtnislücken
sind vielleicht Anzeichen einer Phantomatisierung, aber kein Beweis.
Wie man an den oben aufgezählten Möglichkeiten sieht,
kann man einen perfekten Phantomaten nicht enttarnen, man kann nur
Anzeichen für eine Phantomatisierung finden, sie jedoch nicht bestätigen.
Jetzt stellt sich allerdings die Frage, warum man einen Menschen ohne
sein Wissen phatomatisieren sollte, und vor allem, was ihm das Wissen
über seinen Zustand eigentlich bringt, wenn er tatsächlich
einmal mit Sicherheit darüber Bescheid weiß. Um es kurz zu
sagen: Nichts. Er kann schließlich weder aus der für ihn
geschaffenen virtuellen Welt fliehen, noch kann er Hilfe holen. Er kann
natürlich die Polizei rufen, diese würde allerdings auch nur
innerhalb der virtuellen Realität existieren und kann ihm so kaum
helfen. Auch kann er seinen realen Körper nicht bewegen und so auch
nicht weglaufen oder um Hilfe rufen. Seine einzige Chance wäre
vielleicht ein Stromausfall, der den Phantomaten lahmlegt, oder daß
er es schafft die Maschine so stark zu belasten, das sie zusammenbricht.
Ersteres ist zwar durchaus möglich, kann aber nicht vom Opfer
selbst herbeigeführt werden. Letzteres ist, wie ich oben abgeführt
habe wahrscheinlich nur bei den frühen, einfachen Modellen möglich,
nicht aber bei einer fortgeschrittenen Version. Selbst kann er sich also
nicht aus den Fängen des Phantomaten befreien. Aber vielleicht ist
die oben gestellte Frage falsch. Sollte sie nicht eher lauten: Wie
ernst nimmt er Mensch die Wirklichkeit, wenn er sie nicht mehr von einer
maschinenerzeugten Illusion unterscheiden kann? Eins ist auf alle
Fälle sicher: die Psychiater werden in einer solchen Welt viel
Arbeit haben. Viele Menschen werden zu ihnen kommen mit der Gefühl,
sich in einer phantomatischen Illusion zu befinden. Angstneurosen werden
zu einer neuen Blüte kommen, jedes seltsame Verhalten und jeder
scheinbar zufällige Vorgang wird bei diesen Menschen neue Zweifel
an der Realität wecken. Sie werden sich vor der Welt verschließen
und mit niemanden über ihre Entdeckungen sprechen, da dies ja auch
nur virtuelle Gespräche mit einer Maschine wären, die daraus
neue Informationen erlangen kann, um die Illusion zu perfektionieren.
Allerdings glaube ich, das die Auswirkungen auf die Gesellschaft als
ganzes wesentlich geringer sind, als wir uns das heute vorstellen.
Schließlich scheint der Zweifel an der Wirklichkeit zum Menschen
dazuzugehören. Schon die griechischen Philosophen haben sich darüber
Gedanken gemacht, ob nicht nur ein einziges Lebewesen in diesem
Universum existieren könnte. Vielleicht bin ich, während ich
diese Zeilen schreibe, allein in dieser Welt und alle anderen Menschen
sind nur Ausgeburten meiner Phantasie. Mein Gegenüber kann mir
nicht beweisen, daß es existiert, denn schließlich bekomme
ich Informationen nur über meine Sinne und wer sagt mir, das diese
Informationen richtig sind? Wie dem auch sei, wir können nichts
anderes tun, als zu leben. Wir haben keine Möglichkeit, unsere
Gedanken zu
überprüfen. In der selben Situation werden sich auch die
Menschen in einer Welt der Phantomatik befinden und so werden sie die
Welt so akzeptieren, wie sie ist.
Aber um jetzt noch einmal auf die
den ersten Teil der ursprünglichen Frage zurückzukommen: Warum
sollte man Menschen gegen ihren Willen in eine virtuelle Welt entführen?
Dafür gibt es einige denkbare Anwendungebiete und ich denke dabei
nicht nur an Verbrecher. Es ist natürlich denkbar, daß einige
sadistische Verrückte auf die Idee kommen Unschuldige zu kidnappen,
sie zu phantomatisieren und dann ihrem virtuellen Körper unsagbare
Qualen zuzufügen. Das Opfer würden diese Schmerzen genau so
empfinden, als ob sein realer Körper gequält würde. Wenn
das Opfer dann zur Polizei geht, nachdem es freigelassen wurde, kann es
natürlich nichts bewiesen, denn sein Körper weist keine
Striemen, Wunden oder sonstige Merkmale einer Mißhandlung auf.
Diese Vision halte ich allerdings eher für unrealistisch und
übertrieben. Denkbar wäre jedoch ein virtuelles Gefängnis.
Dabei werden die Gefangenen bei ihrer "Einlieferung" phantomatisiert.
Ihnen wird die wirklichkeitsgetreue Simulation einer Gefängnisumgebung
vorgespielt. Dies hat den großen Vorteil, daß man die
Gefangenen sehr platzsparend unterbringen kann, denn sie können
sich nicht bewegen. Eine Kammer, kaum größer als der Körper
des Gefangenen wäre nötig. Ebenso können die Gefangenen
billig über Tropf und Nährlösung ernährt werden. Es
entfallen außerdem die Kosten für das Wachpersonal, es sind
schließlich keine Ausbrüche möglich. Wenn man diesen
Gedanken weiterverfolgt, kommt man schließlich zu einer vollständig
phantomatisierten Zivilisation. Die Vorteile sind offensichtlich: auch
hier benötigt man wesentlich weniger Platz auf unserer überbevölkerten
Erde, man muß nicht viele Ressourcen darauf verschwenden, um den
Menschen das Leben in einem gewissen Lebensstandard zu ermöglichen.
Jeder kann das haben, was er benötigt und was er sich erträumt,
es ist schließlich kein Aufwand nötig, um es ihm bereit zu
stellen. Der Maschine ist es egal, ob sie ein Leben in Armut oder in
Reichtum simuliert. Es gäbe keine sozialen Spannungen oder
Zwistigkeiten zwischen den einzelnen Menschen, es könnte jeder in
seiner eigenen Welt leben. Er hat nur dann Kontakt zu den anderen
Menschen, wenn er es wünscht, sonst kann er mit virtuellen
Lebewesen zusammenleben. Natürlich ist eine solche Welt für
uns heute eine Schreckensvision, aber es könnte sein, daß die
Menschen sich mit fortschreitender Umweltzerstörung und sinkendem
Lebensstandard gerne in eine solchen Welt flüchten. Ich glaube
jedoch nicht, daß dies für die Dauer eines ganzen Lebens
geschehen wird, oder auch nur möglich ist. Man denke da allein an
die physischen Folgen. Wahrscheinlich würden diese Menschen sehr früh
an Bewegungsmangel und Muskelschwund zu Grunde gehen, ebenso ist natürlich
keine Fortpflanzung mehr möglich. Diese "Flucht" könnte man
also eher als angenehmen Selbstmord bezeichnen. Ich glaube also nicht,
daß die Wahrscheinlichkeit besonders groß sein wird ohne
sein Wissen in einen phantomatisierten Zustand versetzt zu werden, die
Auswirkungen und Verunsicherungen dieser wenigen Fälle wird
allerdings um so größer sein.
Viel gefährlicher sind
meiner Meinung nach die auch heute schon diskutieren Phänomene des
Realtätsverlusts und der Brutalisierung der Gesellschaft. Heute ist
jedem Kind ab einem gewissen Alter klar, das die Szenen die auf dem
Fernseher oder auf der Leinwand ablaufen, nur gespielt sind. Wie viel
schwerer wird diese Unterscheidung, wenn es keinen trennenden Bildschirm
zwischen Akteur und Zuschauer mehr gibt oder gar der Zuschauer aktiv an
der Handlung teil nimmt. Irgendwann wird kaum mehr eine Unterscheidung
zwischen dem realen Erlebnissen und den Fiktionen mehr geben. Die
eigenen Erinnerungen werden nicht mehr genau darüber Auskunft geben
können, ob man etwas in der Realität erlebt hat oder ob es nur
eine Illusion war. Das hört sich zuerst gar nicht so schlimm an. Ob
jemand nicht mehr weiß, ob er Paris schon in der Realität
oder nur als phantomatischen Film erlebt hat, ist nicht so schlimm. Wenn
jemand allerdings nicht mehr weiß, ob er in der Realität von
einem Schwarzen ausgeraubt wurde oder ob er sich nur einen Krimi
angeschaut hat und seitdem alle Schwarzen haßt, ist ein großer
Unterschied. Wahrscheinlich ist, daß die Menschen in Laufe der
Zeit eine Art Machtgefühl entwickeln werden. In einer
phantomatischen Illusion sind sie immer der Mittelpunkt, sie werden nie
abgewiesen und nie verletzt. Auch können sie in der virtuellen
Realität im Prinzip alles tun, ohne je dafür zur Rechenschaft
gezogen zu werden. Die Gefahr, daß sie dieses Verhalten auf die
Wirklichkeit übertragen werden, ist groß. Wesentlich gefährlicher,
als z.B. im Fernsehen wird die Gewaltdarstellung sein, vor allem wenn
der Zuschauer dabei die Rolle des Akteurs spielt. Es ist die Frage, ob
viele Menschen noch in der Lage sein werden, ihre eigene Gewalttätigkeit
noch unter Kontrolle zu halten, wenn sie ein solch gutes "Trainingsfeld"
haben. Allerdings kann auch hier ein gegenteiliger Effekt der sozial
verträglichen Kompensation der Aggressivität und Gewalt der
Menschen auftreten.
Insgesamt liegt es einmal wieder beim Menschen,
ob diese Technologie zum Fluch oder zum Segen für die Menschheit
verwendet wird. Allerdings stellt diese Technologie die Gesellschaft vor
neue soziale, aber vor allem philosophische Probleme. Dennoch ist diese
Idee eine phantastische Bereicherung des menschlichen Geistes, der durch
sie die Möglichkeit haben wird, ganze Welten zu erschaffen und sie
dann auch noch zu betreten. Und genau so sieht Lem diese Technologie:
als Vorstufe zu allgemeinen Pantocreatik, der Kunst Welten zu
erschaffen, erst im virtuellen, dann im realen Sinne.
Während meines Referats über dieses Thema habe ich die
Meinung geäußert, das diese Technologie frühestens im
Jahre 2050-70 bereitstehen würde. Inzwischen bedaure ich, das ich
mich zu einer solch konkreten Zeitangabe hinreißen ließ.
Diese Angabe basiert zwar auf der Annahme einiger Futurlogen, daß
bis dahin das nötige Wissen über die Funktionsprinzipien des
Gehirn bereitstehen würden, jedoch glaube ich nicht, daß
dieses Wissen so direkt in eine solche Technologie ungemünzt werden
kann. Denn es ist dazu wesentlich mehr nötig als nur das Wissen,
wie die Nerven genau die Daten weiterleiten oder wie sie vom Gehirn
verarbeitet werden. Es muß auch die Technologie bereitstehen, die
Nerven zum Gehirn entsprechend zu reizen, um Daten in sie einzuspeisen.
(Lem schlägt hier schwache Maserimpulse vor, die auf die Nerven
einwirken, ohne einen Schaden anzurichten.) Ebenso ist die
Rechnerleistung zur Erzeugung einer virtuellen Welt bereitzustellen. Ob
das alles bis zum genannten Zeitpunkt möglich ist, halte ich für
zweifelhaft. Jedoch sollte man sich nicht auf das ungenaue Geschäft
der konkreten Futurlogie einlassen, denn man begibt sich dabei
unweigerlich in den Bereich der Wahrsagerei. Es kann sein, daß
morgen schon ein genialer Wissenschaftler bekannte Fakten neu kombiniert
und diese Technologie ab dann zur Verfügung steht, es kann aber
auch sein, daß ihr uns bis heute völlig unbekannte
Naturgesetze im Weg stehen.
Im Anschluß an mein Referat wurde
ich gefragt, ob ich glaube, daß diese Technologie je zur Verfügung
steht, und wenn das der Fall ist, ob es eigentlich nicht viel zu teuer
ist, sie der breiten Masse zur Verfügung zu stellen. Beides kann
meiner Meinung nach mit ja beantwortet werden. Natürlich sind die
Probleme die ihr im Weg stehen groß, aber nicht unüberwindbar.
Die Tatsache, daß wir heute keine Erfahrung mit einer direkten
Neuronalverbindung zwischen dem menschlichen Gehirn und einem Computer
haben, bedeutet noch lange nicht, daß so etwas unmöglich ist.
Die zweite Frage ist dann schon wesentlich interessanter. Selbst, wenn
die Technologie zur Verfügung steht, können sich dann so viele
Menschen diese Einrichtung leisten, daß sie wirklich zur
Unterhaltung, wie ich es in meinem Text dargestellt habe, eingesetzt
werden kann? Vielleicht ist es tatsächlich so, das Phantomaten,
ähnlich wie die heutigen Flugsimulatoren, nur von großen
Firmen zum Training eingesetzt werden, während die Bevölkerung
mit wesentlich weniger leistungsfähigen Geräten vorlieb nehmen
muß. Wenn man jedoch vor vierzig Jahren einen Wissenschaftler
gefragt hätte, ob er sich vorstellen kann, daß je 10jährige
Kinder einen Computer zur Verfügung haben, die das Vielfache der
Leistung der damaligen Computer haben und zum Spielen genutzt werden, hätte
wahrscheinlich jeder mit nein geantwortet. Es kann als sein, daß
es sich bei dieser Technologie ähnlich verhält.