Krisen in Computersystemen können jederzeit auftreten. Was
aber riskieren wir, wenn ein Fehler auftritt? Unseren guten Ruf?
Ein finanzielles Desaster? Den Verlust der Demokratie? Tod?
Computersysteme helfen uns nicht in allen Fällen weiter. Jeder
hat schon mal mehr oder minder bittere Erfahrungen mit
Computerausfällen gemacht. Nachfolgende Beispiele zeigen Krisen
größerer Art, welche durch verschiedene Probleme in
Computersystemen zurückgehen (Softwarefehler, Komplexität, zu
starke Vereinfachung, falsche Modellbildung):
Apollo 11 war für die damalige Zeit ein sehr
softwareintensives Unternehmen. Um die Software auf dem
Bordcomputer zu testen, fügten Programmierer zusätzlichen
Programmcode ein, den sie Alarme nannten. Sie sollten bestimmen
helfen, was im Computer vorgeht, wenn sich ihre Programme falsch
verhielten.
Der Bordcomputer hatte verschiedene Funktionen. Primär sollte er
das Aufsetzen der Landungsfähre auf dem Mond unterstützen. Er
sollte aber auch das Andocken an das Hauptmodul in der
Mondumlaufbahn nach Verlassen der Mondoberfläche erleichtern.
Natürlich wurden diese beiden Funktionen nicht gleichzeitig
benötigt. Deshalb wurde entschieden, die Radardaten nicht an die
Rendezvoussoftware weiterzugeben. So sollte die Überwachung des
Hauptmoduls während des Sinkfluges verhindert werden.
Computer wissen jedoch nicht, daß es keinen Winkel gibt, für
den Sinus und Cosinus gleichzeitig Null sind. Als sich die
Landefähre der Mondoberfläche nährte, stand der Computer vor
der unlösbaren Aufgabe, das Hauptmodul aufgrund mathematisch
unmöglicher Daten zu verfolgen und gleichzeitig die Fähre zu
landen. Die simultane Durchführung dieser Aufgaben erforderte
mehr als die verfügbare Rechenleistung. So mußte der Controller
aufgrund von verwirrenden Computerdaten über den Abbruch der
Mission entscheiden. Er hatte 19 Sekunden Zeit, bevor er sich
für die Fortsetzung entschied. Dann trat ein neuer Alarm auf und
er mußte die Entscheidung erneut fällen.
Letztendlich glückte die Landung, aber die Sicherheitsreserven
waren völlig erschöpft.
Am 20. Nov. 1985 kostete ein Softwarefehler die Bank of New
York fünf Mio. Dollar. Die Software zur Überwachung von
Kreditsicherungstransaktionen durch die Zentralbank überschrieb
plötzlich alte Informationen mit neuen. Der Fehler trat im
Speicher des Computers auf. Es war etwa so, als würde jede neue
Transaktion in einer endlosen Liste niedergeschrieben, ohne aber
jemals eine neue Zeile zu beginnen. Die Zentralbank kreditierte
die Bank für jede Transaktion, die Bank of New York wußte aber
nicht mehr, wer ihr wieviel Geld und mit welchen Sicherheiten
schuldete. Nach 90 Minuten konnte der Strom eingehender
Transaktionen endlich gestoppt werden. Zu dieser Zeit schuldete
die Bank of New York der Zentralbank 32 Mrd. Dollar, deren
Verbleib nicht ermittelbar war.
Unter Einsatz aller vorhandenen Aktiva als Sicherheiten konnte
sich die Bank of N.Y. über Nacht das Geld von der Zentralbank
leihen. Am Tag darauf konnten die Datenbanken wiederhergestellt
werden. Jedoch waren Zinsen in Höhe von 5 Mio. Dollar fällig.
Eine weitere Auswirkung bestand darin, daß eine unbekannte
Anzahl ökonometrischer Modelle einen Tag lang falsche Daten
erhielten und auf Grundlage dieser Daten Entscheidungen gefällt
wurden.
In den frühen achtziger Jahren begann GM, gigantische Summen in die Automatisierung ihrer Produktion zu investieren. Das neue Hamtramck-Werk in Detroit besaß 50 selbstlenkende Fahrzeuge, um Teile in der Fabrik zu transportieren, sowie 260 Roboter zu Schweißen und Lackieren: "...auch ein Jahr nach der Inbetriebnahme war die Hochtechnologie so unzuverlässig, daß nur die Hälfte der geplanten 60 Autos pro Stunde produziert wurden... Die verschiedenen Fertigungsstraßen mußten für Stunden stillgelegt werden, während die Techniker versuchten, die Fehler aus der Software zu entfernen. In dieser Zeit machten sich die Roboter häufig selbständig, zerstörten Autos, sprühten Lack überall hin oder benutzten sogar das falsche Werkzeug."
© Matthias Marzinko 1997