Fachhochschule München, Fachbereich 13

Seminararbeit
zur
Lehrveranstaltung
Methoden der Chaosforschung

im Sommersemester 1996

Thema:

Das Bifurkationsszenario

Vorgelegt von: Eva Mahling
Betreuer: Dr. W. Eberl

Abgegeben am 12.07.96

1. Einleitung
2. Was ist ein "Bifurkationsszenario"?
3. Das Rotationspendel mit Unwucht
4. Analogien in der Mathematik
5. Abschlieëendes
6. Literatur


Einleitung

In meinen freiwilligen Allgemein-Wissenschaftlichen Fach belegte ich "Chaosforschung" um mein Verständnis für den Begriff Chaos zu erweitern.

Desweiteren hielt ich ein Referat über das Thema "Das Bifurkationsszenario", über das ich auch in meiner Seminararbeit schreiben möchte.

Das Bifurkationsszenario spielt eine große Rolle beim deterministischen Chaos. Die Philosophie des Determinismus besagt, daß alle Geschehnisse vorherbestimmt sind. Die Physik erlebte in diesem Bereich erstmals einen Aufschwung mit der Newton-Mechanik (sie beschreiben die Zusammenhänge zwischen den Größen Kraft, Geschwindigkeit, Beschleunigung usw.). Wissenschaftler wie Laplace bestätigten im 18. Jahrhundert diese Theorie. Erst Anfang des 19. Jahrhundert erkannte Poincaré, daß nichtlineare Systeme, worunter auch das Bifurkationsszenario gehört, unvorhersagbar sind, obwohl die physikalischen Gesetze bekannt sind.


Was ist ein "Bifurkationsszenario"?

Das Bifurkationsszenario kommt aus dem lateinischen bifurcum und bedeutet gegabelt. Der Begriff Bifurkation kommt auch noch in anderen Bereichen vor, z. B. in der Zahntechnik, wobei hier aber die Gabelung der Zahnwurzel gemeint ist.

In der Chaosforschung versteht man aber unter einer Bifurkation:

"Eine Bifurkation ist das plötzliche Auftreten einer qualitativ anderen Dynamik bei langsamerVeränderung eines Kontrollparameters"(1).

Da diese Definition auf Anhieb nicht so leicht zu verstehen ist. möchte ich sie von Anfang an erläutern, um sie so leichter verständlich zu machen.


Das Rotationspendel mit Unwucht

Um 1510 erfand Peter Heinlein die Unruh der Taschenuhr, die aus auf einer gemeinsamen Achse angebrachten Anregung (die damals aus einer aufgerollten Schweinsborste bestand) und einer Schwungscheibe mit einem Trägheitsmoment bestand Das Rotationspendel war die erste Mechanik für Uhren, die in allen Lagen und Positionen funktionierte (siehe Bild 1).

Bild 1
Bild 1


Lenkt man die Schwungscheibe um einen gewissen Betrag aus, schwingt sie mit einer Periodenlänge von T = 1,9 Sekunden. Wird die Schwungscheibe noch weiter ausgelenkt, schwingt sie weiterhin mit der Periode T = 1,9 Sekunden, daß heißt die Periodenlänge ist unabhängig von der Auslenkung (was beim Fadenpendel zum Beispiel nicht der Fall ist)(siehe Bild 2).

Bild 2
Bild 2


Damals hatte Peter Heinlein ziemlich viel Glück gehabt, daß er eine ausgewuchtete Schwungscheibe bekommen hatte. Ist nämlich die Schwungscheibe nicht ausgewuchtet, daß heißt es befindet sich eine Masse m im Abstand r vom Mittelpunkt der Schwungscheibe, ändert sich die Schwingung fatal (Anordnung siehe Bild 3).

Bild 3
Bild 3


Die Ursache liegt hierfür beim Trägheitsmoment, das zusätzlich auf der Schwungscheibe anliegt.


Weiterhin stellt man unter der Schwungscheibe eine Wirbelstrombremse auf. Die Wirkkraft der Bremse ist abhängig von dem durchfließenden Strom, daß heißt verringert man den Strom, so verringert sich auch die Bremskraft. Somit hat man einen Kontrollparameter geschaffen.


Lenkt man die Schwungscheibe wieder um einen gewissen Betrag aus, zeichnet den Verlauf auf, bei verschieden groß angelegten Strömen, erkennt man Unterschiede gegenüber der vorherigen Anordnung. (siehe Bild 4)

Bild 4
Bild 4


Links ist jeweils die Auslenkung über die Zeit dargestellt. Daneben ist die Häufigkeitsverteilung der unteren Umkehrpunkte aufgetragen. Sie dient zur Klassifikation der jeweiligen Schwingungsart. Bei Erniedrigung des Kontrollparameters I stellen sich nach der Grundschwingung (a) nach und nach Bifurkationen (b-d) ein, und schließlich verhält sich das Pendel "chaotisch" (e). Bei weiterer Erniedrigung von I schwingt das Pendel über den instabilen Gleichgewichtpunkt hinweg (f). Bei einem bestimmten Dämpfungsstrom bricht das Chaos ab, und es stellt sich wieder eine stabile Schwingung ein (g). Man nennt das ein Fenster im Chaos; denn erniedrigt man I weiter, so tritt wieder Chaos auf (h).


Weiterhin ist jetzt die Eigenperiode abhängig von der Amplitude, was relevant für Heinleins Taschenuhr wäre, da der Takt mal kürzer und mal länger wäre.


Trägt man die Amplitudenlänge in einem Diagramm auf die Ordinate und den Strom auf die Abzisse, in das sogenannte Feigenbaum-Diagramm, ein, so erkennt man hieraus die verschiedenen Phasen (siehe Bild 5).

Bild 5


Das Diagramm wird von rechts nach links betrachtet. Bei (a) schwingt das System mit einer Amplitudenlänge (Grundschwingung), (b) zeigt die erste Bifurkation,(c) die zweite Bifurkation. Bei (d) herrscht zum ersten Mal Chaos, das heißt man kann die nächste Amplitudenlänge nicht mehr voraussagen. Im (e) Bereich zeigt sich ein Fenster im Chaos, das heißt das System hat sich stabilisiert und es ist deterministisch. Anschließend (f) herrscht weiterhin Chaos.


Analogien in der Mathematik


In der Mathematik tauchten bei bestimmten Funktionen dieselben Phänomene (Bifurkationen, Chaos, Fenster im Chaos , weiter Chaos) auf.


Lange Zeit bevor die Mathematiker diese "Probleme" anpackten, beschäftigten sich Nicht-Mathematiker, wie zum Beispiel Biologen und Soziologen zwangsläufig, , damit, da sie für ihre Forschungsarbeiten wie die Populationsdynamik (Beispiel: "Was passiert, wenn man tausend Fische in einen See aussetzt? Und was passiert, wenn man fünfzig Haie hinzufügt, von denen jeder pro Tag zwei Fische frißt?"(2)) benötigten. Diese Art von Ökosystem, was im weitesten Rahmen in sich abgeschlossen ist, ist auf vielfältige Weise nichtlinear und rückgekoppelt. So stießen sie schnell auf ihre mathematische Grenzen.


Die Rückkopplungsfunktionen, auch Iterationsfunktionen, wie zum Beispiel Xneu= c* Xalt (1-Xalt) (siehe Bild 6), wobei c sich zwischen 2,9 und 4,0 bewegt und X zwischen 0 und 1 definiert ist, zeigen die selben Symptome eines Bifurkationsszenarios.

Bild 6
Bild 6


In einem Diagramm ist nach rechts die Zeit, also der nächste Iterationsschritt aufgetragen, und nach oben die Variable X. Um die Iterationsschritte zu verdeutlichen, sind Hilfslinien zum nächsten Iterationsschritt eingezeichnet.


Bei kleinen Werten von c wird genau ein Wert X erreicht,daß heißt es hat seinen Fixpunkt erreicht. Bei einer Vergrößerung der Konstanten setzt die erste Bifurkation ein,das X alterniert zwischen zwei Werten. Nacheinander treten weitere Bifurkationen auf bei immer größer werdenen c-Werten. Schließlich tritt Chaos ein, daß heißt von zwei ursprünglich benachbarten Startwerten, können sie im ersten Iterationsschritt nahe zusammenliegen, im nächsten weit auseinander und es ist vollkommen unmöglich eine Vorhersage über den nächsten Schritt zu machen.


Auch hier tritt bei bestimmten Werten der Kontrollparameter die Fenster im Chaos auf.


Trägt man nun die ganze "Einsetzerei" und "Werterei" in das Feigenbaum-Diagramm ein, sieht dieser Attraktor ziemlich dem Attraktor des Rotationspendels ähnlich. Zusätzlich zeigt unser mathematischer Attraktor eine Selbstähnlichkeit, daß heißt vergrößert man einzelne Teile, so erhält man einen ähnlichen Attraktor. "Wie unendlich viele uneinandergeschachtelte russische Puppen enthält das Feigenbaumdiagramm unendlich oft sich selbst"(3)(siehe Bild 7 ).

Bild 7
Bild 7


Dies gilt ebenfalls für andere Iterationsfunktionen. Entscheidend dafür ist, das sie nur ein parabolisches Maximum besitzen.


Abschließendes


Betrachten wir nun unsere Definition über das Bifurkationsszenario "Eine Bifurkation ist das plötzliche Auftreten einer qualitativ anderen Dynamik bei langsamer Veränderung eines Kontrollparameters"(4), so scheinen wir langsam zu begreifen. Unser Kontrollparameter; Strom I vom Rotationspendel mit Unwucht oder die Konstante C aus unserer Iterationsfunktion, wurde langsam verändert und die "qualitativ andere Dynamik" sind die besagten Bifurkationen, und das Chaos, was letzt-endlich unendlich viele Bifurkationen ist.


Literatur


Gleick, James "Chaos- die Ordnung des Universums" Ausgabe Juli 1990
Droemersche Verlagsanstalt Th. Knauer
München


Eberl, Werner "Grundlagen und Methoden zur nichtlinearen Dynamik"
Ausgabe Februar 1996
Kunst und Alltag Verlag
München


Worg, Roman "Deterministisches Chaos- Wege in die nichtlineare Dynamik"
Ausgabe 1993
BI Wissenschaftsverlag
Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich


Geo - Wissen "Chaos und Kreativität"
Ausgabe November 1993 (Nachdruck)
Gruner & Jahr AG & Co.
Hamburg


Zitate


(1) aus "Grundlagen und Methoden zur nichtlinearen Dynamik" Seite 96

(2) aus "Chaos - Grenzen des Universums" Seite 92

(3) aus "Geo - Chaos und Kreativität" Seite 184

(4) aus "Grundlagen und Methoden zur nichtlinearen Dynamik" Seite 96

Sämtliche Bilder aus "Deterministisches Chaos -Wege in die nichtlineare Dynamik"