Fachhochschule München WS 1995/96 Fachbereich 13 AW
Seminararbeit
zur
Lehrveranstaltung
Methoden der Chaosforschung
Werner Eberl
Verfasser: Norbert Grabmaier
Adresse / Tel.: Obergrund 2, 84579 Unterneukirchen / 08634/7251
Fachbereich /Studiengang / Semester: 03 / Maschinenbau / 04
Abgabetermin: 12.07.1996
Inhaltsverzeichnis:
Seite
1. Einleitung ......................................................................................... 3
2. Grundlagen ....................................................................................... 3
2.1 Der Zustandsraum .......................................................................... 3
2.2 Die Trajektorie ............................................................................... 4
2.3 Der Attraktor .................................................................................. 4
2.4 Der Orbit ........................................................................................ 5
3. Das OGY-Verfahren ........................................................................ 5
3.1 Durchführung des Verfahrens ........................................................ 6
3.1.1 Der Poincaré-Schnitt ................................................................... 6
3.1.2 Stabilisierung des Orbits ............................................................... 6
3.2 Vor- und Nachteile ........................................................................... 7
4. Schluß ............................................................................................... 7
5. Literaturverzeichnis ......................................................................... 8
1. Einleitung
" Ein System ist chaotisch, wenn niemand vorhersagen kann, wie es sich über längere Zeit verhalten wird. " Dieser Aussage zufolge galt es somit als unberechenbar, unkontrollierbar und unzuverlässig. Aus diesem Grund versuchten die Naturwissenschaften bisher höchstens ihr eigenes Chaos zu unterdrücken. Dabei hat Chaos viele positive Eigenschaften zu bieten.
Eine davon ist, daß sich chaotisches Verhalten aus vielen, regelmäßigen Verhaltensmustern zusammensetzt, von denen normalerweise keines dominiert. Kleine Störungen können eines davon jedoch veranlassen, bestimmend zu werden. Weiterhin reagieren diese Systeme auf sehr kleine Einwirkungen, was sie sehr flexibel macht. Zum anderen ist das Systemverhalten zwar nicht vorhersagbar, aber trotzdem kann es sehr wohl deterministisch sein.
Hieraus ergeben sich nun verschiedene Möglichkeiten das Chaos zu nutzen: es kann als solches mit seinen chaotischen Eigenschaften genutzt oder diszipliniert werden, so wie es in der im folgenden beschriebenen " Methode zur Steuerung des Chaos nach Ott, Grebogi und Yorke ", kurz OGY-Methode, geschieht.
2. Grundlagen
2.1 Der Zustandsraum
Sollen die Bewegungen eines Systems, wie zum Beispiel des in Abbildung 1 dargestellten Feder- Masse-Systems, graphisch veranschaulicht werden, so trägt man diese oftmals in ein Zeit-Orts-Diagramm ein. Da diese Darstellungsart jedoch bei komplizierteren Systemen sehr bald zu einem etwas unübersichtlichen Graphen führt, zieht man in solchen Fällen die Darstellung im sogenannten "Zustandsraum" vor. Dieser ist nichts anderes als ein Koordinatensystem, das für jede Variable des Systems eine Koordinatenachse enthält. Dabei werden als Variablen diejenigen Werte bezeichnet, die sich bei der Bewegung eines Systems ständig ändern, wie zum Beispiel Ort oder Geschwindigkeit. Ein solches System kann durchaus nur durch mehrere Variablen beschreibbar sein. Entsprechend mehrdimensional stellt sich folglich der Zustandsraum dar. Im Gegensatz dazu stehen die Parameter eines Systems. Sie sind durch den Aufbau der Anordnung vorgegeben und werden während des Betriebes nicht mehr verändert. In diese Gruppe gehören Teilgeometrien, Federhärten, Massen oder die Antriebsfrequenz eines antreibenden Motors.
Abb.1
2.2 Die Trajektorie (Bahnkurve)
Um nun den Graphen des Zustandsraums, der als Trajektorie bezeichnet wird, zu erhalten, beginnt man nun zu einem beliebigen Zeitpunkt mit der Messung der Systemvariablen. Diese werden parallel zur Messung in den Zustandsraum eingetragen. Wie sich nun mit fortschreitender Zeit die Lage der aufzuzeichnenden Anordnung bewegt, so verändert auch der Punkt im Koordinatensystem seinen Ort. Dabei zeichnet er eine Bahnkurve. Von dieser aus läßt sich aus jedem Punkt der Kurve der System-zustand zu jedem beliebigen Zeitpunkt rekonstruieren.
2.3 Der Attraktor eines Systems
Zum besseren Verständnis des Folgenden nehmen wir jetzt eine, an einer nichtlinearen Feder aufgehängte, Kugel zur Hilfe, wie sie in Abbildung 1 zu sehen ist. Die Auslenkung wird dabei durch ein Brett erzeugt, welches von einem Motor auf und ab bewegt wird.
Untersucht man nun die Bewegung des Systems bei niedriger Frequenz, indem man den Verlauf seiner Trajektorie im Zustandsraum genauer betrachtet, so kann man folgendes feststellen: bei einer bestimmten, niedrigen Anregungsfrequenz (= langsame Umdrehung des anregenden Motors) ergibt sich eine, im Zustandsraum immer auf der selben, geschlossenen Bahn verlaufende, Trajektorie. Pro Anregungszyklus des Brettes wird diese Bahn einmal durchlaufen, und wiederholt sich periodisch. Diese Bahn, der die Trajektorie zu folgen versucht, nennt man Attraktor, was soviel heißt wie "Anziehungspunkt". Er ist die Bahn, der das System mit seiner Bewegung folgt, wenn sich die Anregungsschwingung und das zu bewegende System in einem Gleichgewichtszustand befinden. Ein Attraktor der Periode 1 ist für das obige Beispiel in Abbildung 2 zu sehen.
Wird dieses Gleichgewicht gestört, was leicht geschehen kann indem die Kugel mit dem Finger zusätzlich beschleunigt oder abgebremst wird, so verlässt die Trajektorie für kurze Zeit den Attraktor. Das Pendel macht währen dessen etwas unregelmäßigere Bewegungen, versucht sich jedoch wieder in die Gleichgewichtslage einzupendeln. Im Zustandsdiagramm äußert sich dies Abb.2 dadurch, daß die Trajektorie bestrebt ist auf die Bahn des Attraktors zurückzukehren.
Der Attraktor der Periode 1 ist jedoch nicht die einzige stabile Bahn. Bei geringer Erhöhung der Anregungsfrequenz oder der Amplitude, stellt sich, nach einer gewissen Einschwingzeit, ein Punkt ein, bei dem dieselbe Bahn nur alle zwei Anregungszyklen durchlaufen wird. Dieser Trajektorie liegt nun folglich ein Attraktor der Periode 2 zugrunde, der in Abbildung 3 zu sehen ist. Erhöht man nun die Frequenz weiter, so
entstehen Attraktoren höheren Periodenzahlen, bis sich schließlich ein sogenannter "Chaotischer Attraktor" bildet, wie in Abbildung 4 dargestellt.
Abb. 3
Aus dem Umstand, daß ein System mehrere Attraktoren hervorbringt, lassen diese eine weitere Eigenschaft erkennen. Attraktoren sind spezifisch und hängen ganz entscheidend von den Systemparametern ab. Wird eine der Einstellungen geändert, so wird, wie das System, gleich-zeitig auch der Attraktor verändert. Für unser Feder-experiment bedeutet dies, daß sobald Antriebsfrequenz oder Amplitude erniedrigt oder erhöht werden, sich der Attraktor, und durch dessen Einfluß auf die Trajektorie, auch diese mitverändert.
Abb.4
2.4 Der Orbit
Man hat gesehen, daß bei niedriger Anregungsfrequenz im Zustandsraum eine geschlossene Bahn der Periode 1 durchlaufen wird. Es wird dabei auch von einem Orbit der Periode 1 gesprochen, wobei Orbit nichts anderes als geschlossene Umlaufbahn bedeutet. Ebenso spricht man bei höherperiodischen Umlaufbahnen von Orbits höherer Periodizität. Untersucht man nun hingegen den chaotischen Attraktor, so kann man feststellen, daß dieser aus vielen, regelmäßigen Mustern aufgebaut ist. Er kann demnach auch als Überlagerung unendlich vieler, instabiler Orbits aufgefasst werden. Das heißt als Gesammtes gibt sich der Attraktor chaotisch, Teile davon setzen sich jedoch aus Orbits verschiedener Perioden zusammen. Dies lässt sich folgendermaßen vorstellen:
Die Trajektorie des Systems folgt dem Verlauf des Attraktors. In Gewissen Bereichen des Attraktors jedoch kann es passieren, daß die Trajektorie diesen für kurze Zeit wiederholt durchläuft, daß sich also ein periodischer Vorgang einstellt. Solch einen Bereich auf dem chaotischen Attraktor kann man als einen instabilen, periodischen Orbit bezeichnen, da sich für gewisse Zeit eine geschlossene Bahnkurve ergibt. Andererseits ist dieser Orbit nicht dauerhaft stabil, was sich darin äußert, daß das System irgendwann wieder von der periodischen in die chaotische Bewegung übergeht. Mann kann daraus erkennen, daß periodische Vorgänge gut Teil eines chaotischen Gesamtvorgangs sein können.
3. Das OGY-Verfahren
Das OGY-Verfahren ziehlt nun darauf ab, das chaotische Verhalten eines Systems in ein regelmäßiges, periodisches überzuführen. Es stützt sich dabei auf die im vorigen Kapitel gewonnene Erkenntnis, daß ein Attraktor eine Kombination vieler instabiler Verhaltensmuster (= Orbits) ist. Durch kleine, gezielte Störungen versucht man nun das System zu veranlassen, einem dieser Orbits zu folgen und dadurch in seiner Bewegung stabilisiert zu werden.
3.1 Durchführung des Verfahrens
Um die OGY-Methode anwenden zu können muß man vorab wissen wie sich das System verhält und auf gewisse Änderungen reagiert. Diese Informationen gewinnt man mithilfe des Poincaré-Schnitts:
3.1.1 Der Poincaré-Schnitt
Der Poincaré-Schnitt kann auf zwei unterschiedliche Arten erstellt werden. Die eine besteht darin, den Graphen im Zustandsraum mit einer Ebene zu schneiden, um dann zu sehen, wo und in welcher Reihenfolge die Trajektorie diese Schnittfläche durchstößt. Die gleichen Informationen erhält man aber auch dadurch, daß man die Systemvariablen nicht permanent, sondern nur zu einer bestimmten Zeit oder beim durchlaufen einer bestimmten Systemlage, zum Beispiel der Gleichgewichtslage des ruhenden Pendels, aufzeichnet. Man erhält dadurch eine Folge von Punkten, die einer bestimmten Funktion gehorchen , nämlich einer, die jeden Punkt auf seinen Nachfolger abbildet. Daraus gewinnt man folgende Informationen: man sieht, wie sich das System um diesem Punkt verhält, zum Beispiel ob und mit welcher Geschwindigkeit es sich dem Schnittpunkt nähert oder entfernt. Zudem ist es möglich hieraus die Verschiebung des Attraktors, also seine Reaktion auf kleine Parameter-änderungen abzulesen. Diese Information wird später zum stabilisieren des Orbits benötigt.
3.1.2 Stabilisierung des Orbits
Ist der Poincaré-Schnitt ausgewertet, so wählt man sich einen passenden Orbit aus der Vielzahl die im chaotischen Attraktor vorhanden sind aus und läßt das System laufen. Hat es den gewünschten Orbit erreicht, so beginnt man mit der Steuerung. Durch leichtes verändern der Systemparameter vergrößert man die Stabilität des Orbits, wodurch die Trajektorie veranlasst wird, dem gewünschten Orbit zu folgen. Für das System bedeutet dies, daß es durch die geänderten Parameter gezwungen wird, die Bewegung auszuführen, die der Orbit im Zustandsraum beschreibt Paktisch geschieht dies folgendermaßen: sobald die Trajektorie den Orbit durchlaufen hat, wird sie weiter dem Attraktor folgen. Da dessen Gleichung bekannt ist, kann man auch ungefähr den zu erwartenden Durchstoßpunkt im Poincaré-Schnitt vorhersagen. Nun verschiebt man, mithilfe des im voraus getesteten Steuerparameters, den Attraktor mit dem zu stabilisierenden Orbit genau so, daß der Orbitschnittpunkt in der Poincaré-Ebene mit dem zu erwartenden Schnittpunkt der Trajektorie zusammenfällt. Die Trajektorie wird daraufhin in den Anziehungsbereich des Orbits gelangen und auf ihn einschwenken. Sobald sie den Orbit wieder durchlaufen hat, muß neuerdings eine Verschiebung durchgeführt werden, um die Trajektorie wieder "einzufangen",und so weiter... . Bei dieser Methode ist es wichtig, das System am verlassen der gewünschten Trajektorie in der einen oder anderen Richtung zu hindern. Dies gelingt, indem man den chaotischen Attraktor, auf welchen die Trajektorie sehr empfindlich reagiert, verschiebt. Dies wird wiederum durch Parameteränderungen bewirkt, die allerdings nicht zu groß gewählt werden dürfen, da sich sonst der Attraktor stark verändert und verschiebt und damit das System einen völlig anderen Charakter erhält.
3.2 Vor- und Nachteile
Ein unübersehbarer Vorteil dieser Methode liegt darin, daß zu ihrer Anwendung nicht erst ein detailliertes Modell des chaotischen Systems aufgestellt werden muß. Die Erstellung eines relativ einfachen Poincaré-Schnitts reicht völlig aus. Aus diesem Grund ist es sehr flexibel und kann deshalb auf viele verschiedene Systeme angewandt werden.
Etwas schwieriger gestaltet sich leider dabei die Auswahl eines geeigneten Poincaré-Schnitts, da sich bei ungünstiger Auswahl des Schnitts die benötigten Informationen nicht so leicht gewinnen lassen. Auch die Berechnung der richtigen Parameteränderung ist nicht einfach zu bewältigen, da eine Unmenge von Daten inerhalb kürzester Zeitintervalle zur Verfügung stehen muß.
4.Schluß
Diese Art der Steuerung wird in vielen verschiedenen Gebieten bereits mit Erfolg zu Testzwecken eingesetzt. Da sie sehr flexibel und einfach zu beherrschen ist, werden mit ihr Lasersyteme stabilisiert oder aber arythmisch schlagende Tierherzen wieder in Gleichtakt gebracht. Damit ist es Wissenschaftlern gelungen mit relativ wenig Aufwand regellose Bewegungen in kontrollierte überzuführen. Was nun die Steuerung chaotischer Systeme anbelangt, wird man auch in Zukunft nicht an der Methode von Ott, Grebogi und Yorke vorbeikommen, da sie eine relativ einfache und gut realisierbare Lösung für derartige Probleme darstellt.
Literaturverzeichnis:
-William L. Ditto, Louis M. Pecora, "Das Chaos meistern", Spektrum der Wissenschaft, Nov.1993
-Edward Ott, Celso Grebogi, James A. Yorke, "Controlling Chaos", Physical Review Letters 64, 1990
-Elizabeth Corcoran, "Ordering Chaos", Scientific American, Aug.1991